Roti und Rotlicht/Hollywood Hills

Auf Spanisch wird kein Unterschied zwischen „allein“ und „einsam“ gemacht. Dafür gibt es nur ein Wort und wenn man sich Selena anschaut, könnte man meinen, dass selbst dieses überflüssig ist. Sie ist eigentlich nie allein, hat immer etwas zu tun und plant schon das nächste Event. So auch am Wochenende, wo sie, als der gut ausgeschlafene Sprachassistent am späten Vormittag erwachte, schon mehrere Stunden am Strand verbracht und drei neue Bekanntschaften gemacht hat.

Danach geht es auf eine Wanderung im Vulkangebirge. Hier ist alles sehr grün, es gibt wildwachsende Palmen und kleine farbenfrohe Vögel. Allerdings erreicht die Luftfeuchtigkeit einen Punkt, an dem man das Gefühl hat, in der Luft zu schwimmen. Am Gipfel angekommen sieht man deswegen auch nichts als den weißen Dunst, hinter dem sich das Tal verstecken muss. Ab und zu sieht man den Urwald in Form von dunklen Schatten aufblitzen. Das könnte schon fast unheimlich sein, wäre es nicht so unfassbar heiß und die fünf Spanierinnen so laut. Sie sprechen in einem mörderischen Tempo und zwar alle gleichzeitig, zuhören scheint man dabei nicht zu müssen. Auch die Einstellung gegenüber einer Wanderung scheint in Spanien eine andere zu sein. Das Outfit besteht aus engen Yogahosen und Sport-BHs, statt festem Schuhwerk und Deuter-Rucksack trägt man teure Sonnenbrillen und Analogkameras. Außerdem ist die Stimmung ausgelassen und energiegeladen, als hätte es den gestrigen Abend nicht gegeben. Wir waren auf einem kreolischen Straßenmusik-Fest in der nächstgrößeren Stadt. Neben Food Trucks gab es kleine Gruppen, die im Kreis saßen und erstaunlich viele Dinge hatten, auf denen man augenscheinlich trommeln konnte.

Lucia, eines der spanischen Mädchen und die dritte Vegetarierin im Bunde fand einen indischen Stand der ausschließlich Gerichte ohne Fleisch verkaufte. Da der Mensch nicht von Bourbon-Bier allein leben kann setzten wir uns mit einem Roti auf die Mauer. Wenn ich die etwas verschwommene Erinnerung richtig deute, erzählte Lucia von ihrem ersten und einzigen Besuch Berlins. Sie und ihre Freundinnen wurden in einen Club nicht reingelassen, weil sie in der Schlange (Achtung Schocker) sehr laut auf Spanisch miteinander geredet hatten. Also suchten sie nach einem anderen und landeten zufällig vorm KitKat, ohne je davon gehört zu haben. Sie waren komplett in schwarz gekleidet und sagten kein Wort und landeten, als der Türsteher sie reinließ unvermittelt in einer riesigen Orgie. Es war der wohl kürzeste KitKat-Besuch der Geschichte, aber im Nachhinein bereut sie es, nicht geblieben zu sein, sagt Lucia. Auf dem mit Bambus und warmen Lichterketten geschmückten Platz veranstaltet ein etwa 50-Jähriger Reggae-Künstler seine ganz eigene Fetisch-Party oder zumindest den Versuch, als er sich vor seinen circa zehn Zuschauern vollständig zu entkleiden beginnt. Nach so einem Wochenende gibt es viel zu verarbeiten.


Aber dafür ist keine Zeit, die Arbeit ruft und es geht in den Süden der Insel. Schon die Anfahrt zu der Schule ist beeindruckend, die Häuser an der Straße haben großzügige Vorgärten mit in verschiedensten Farben blühenden Büschen. Die zwei absurd sauberen und glatten Fahrbahnen werden von einem Streifen riesiger gerader Palmen gesäumt, die sich irgendwo ganz weit hinten im Horizont verlaufen. In der Schule gibt es etwas, was ich bis jetzt hier noch gar nicht gesehen habe: weiße Kinder. Und zwar zu mindestens 80%. Vielleicht hatte Selena doch recht, als sie unseren Ort als die Bronx von La Réunion bezeichnet hat. Aber immerhin wussten die örtlichen Schulen, dass ich kommen würde, was man von dieser hier nicht behaupten kann. Alle sind sehr aufgeregt und die Schulleiterin sagt sehr viele Dinge auf Französisch und die Sekretärin druckt sehr viele Formulare zum Unterschreiben aus. Aber am Ende, nachdem sich alle in französischer Manier etwas echauffiert haben ist doch alles ok und ich darf bleiben.